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12 in 12 – Essen in Italien: Traum oder Albtraum?

Die Pizza Rosso vom Forno Campo de' Fiori ist ein Gedicht.
Die Pizza Rosso vom Forno Campo de’ Fiori ist ein Gedicht.

In irgendwelchen Seminaren habe ich mal gelernt, dass man eine Kritik immer mit einem Lob einleiten soll. „Softening the blow“ nennt man das auf Englisch treffend. Also wende ich diesen Trick doch gleich mal an.

Das Essen in der italienischen Hauptstadt ist ein Traum. Die Pizza von Da Remo, das Tiramisu von Zum, die Carbonara von Roscioli, das Suppli von Supplizio, die Bianca vom Forno Campo de Fiori und das Eis vom Palazzo Del Freddo – ein Gedicht. Ohne mit der Wimper zu zucken, kann ich sagen, dass ich diese Klassiker noch nirgends so gut in dieser Qualität gegessen habe. Perfektion. Absolute Perfektion.

Doch darüber hinaus?  – und ich bin mir bewusst, dass ich hier viele in ihrem Stolz verletze und wohl auf wenig Gegenliebe stosse. Darüber hinaus gibt es in Rom nichts, wenn es um die Gaumenfreuden geht. Hier gibt es nur italienische Küche und zwar meist genau so, wie es die Nonna schon damals, als alles noch besser war, gekocht hat und kein bisschen anders. Ja, das schmeckt zwar ausgezeichnet. Doch es ist auch langweilig. Sehr langweilig. Zum einschlafen langweilig.

Zu einer Hauptstadt, die Weltformat haben will, gehört auch die internationale Küche. Ja klar, es gibt hier Sushi und auch mal einen passablen Burger. Doch gross ist die Auswahl nicht. Während es in anderen Grossstädten nur so von Thais, Vietnamesen, Mexikanern, Indern, Peruanern, Franzosen, Spaniern, Amerikanern und ja – Italienern! wimmelt, und jedes interessante Gastrokonzept immer wieder neu erfunden und gemischt wird, ist hier Funkstille.

Im Gambero Rosso, Italiens wichtigstem Restaurantfüher, gibt es über ein Dutzend Restaurantkategorien, die jede eine eigene Rangliste hat. Von der Pizzeria, zur Trattoria über die Osteria bis hin zur Rosticceria… alles wird bewertet. Eine einzige Kategorie beschäftigt sich mit der Küche ausserhalb Italiens und die heisst lapidar: Ethnisch. Sie steht ganz verschupft am Ende des Buches. Acht der zehn Top-Restaurants in der Kategorie ethnisch sind Japaner…

Warum ist das so? Warum haben die Italiener (und sogar die eher aufgeschlossenen Grosstädter aus Rom) Angst vor Veränderung, Angst (oder von mir aus auch keine Lust), etwas Neues auszuprobieren? Die einfache Antwort ist: Wer eine so gute Küche hat, wie wir, der braucht kein Sushi und kein Curry. Doch dass das engstirnig und reaktionär ist, das muss ich hoffentlich niemandem beweisen. Die Angst vor Veränderung gibt es nicht nur bei den Gaumenfreuden, sondern zieht sich in Italien durch alle Zweige der Gesellschaft. Die Mode der Masse hat sich in den letzten 50 Jahren erstaunlich wenig verändert, das Fernsehprogramm, die italienischen Schlager, das Kulturangebot und die Produkte im Supermarkt: alles wie gehabt.

Man lebt in der Vergangenheit und merkt nicht, dass sich die Welt weiter dreht. Ich will jetzt nicht behaupten, dass das auch der Grund ist, warum Italien wirtschaftlich nicht mehr so solide da steht und Innovationen, die zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit beitragen, fehlen. Doch denkt mal darüber nach…

So schön das Gefühl der Italianita und des Bella Italia ist, schön wäre es, wenn man etwas mehr Bereitschaft zur Veränderung und Offenheit für Neues zeigen würde. Doch zwingen kann man dazu niemanden.

So, es ist Zeit, ans Mittagessen zu denken. Ich habe richtig Lust auf eine Portion Spaghetti Amatriciana – wahrscheinlich gehe ich zu Da Enzo.

12 in 12 – Das Fenster

Das Fenster spielt in Rom eine ganz besondere Rolle. Nirgends habe ich bisher so viele Leute gesehen, die sich die Welt von ihrem Fenster aus anschauen. Der Römer verkriecht sich nicht in seinen vier Wänden, sondern wenn er schon keine Zeit hat, auf der Piazza seine Runden zu drehen, dann ist er am Fenster zu finden. Er beobachtet, grüsst, ruft herunter, schreit nach innen, isst, diskutiert, seufzt, lacht oder denkt ganz einfach nach. Das Leben am Fenster… bella Italia!

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12 in 12 – Cinema Farnese – Kapitel 2

Cinema Farnese
Ein Fall fürAlfredo Conte

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Kapitel 2

„Mord im Cinema Farnese“ steht am nächsten Tag in grossen Lettern auf der Frontseite des „Messaggero“. Das Telefon von Inspektor Conte lief schon den ganzen Morgen heiss. Auch Polizeipräsident Marco Caruso hatte angerufen und kräftig Dampf gemacht. Der Fall müsse gelöst werden, aber subito. Conte hatte nicht geschlafen und gerade mal Zeit, zu Hause ein frisch gebügeltes, hellbeiges Hemd anzuziehen und bei Roscioli einen Caffè zu trinken.

Die Nachforschungen hatten bisher wenig gebracht. Roberto Ginelli, der gestern die Schüsse im Kino gemeldet hatte, war nicht mehr aufgetaucht. Die Forensiker der Polizeiwache hatten weder Fingerabdrücke noch andere Spuren gefunden, die Aufschluss über den Täter geben könnten.

Das waren die Fakten: Es gab keine körperliche Auseinandersetzung und der Schuss wurde aus nächster Nähe wahrscheinlich mit einer einer Beretta PX4 Storm mit 9mm Kaliber direkt in die Schläfe abgefeuert. Immerhin war sich Conte somit so gut wie sicher, dass der Täter das Opfer gekannt hatte. Gut möglich, dass die beiden im Kino nach der letzen Vorstellung nebeneinander sassen und etwas wichtiges zu besprechen hatten.

Der Inspektor hatte Ginelli mehrere Nachrichten hinterlassen und ihn gebeten, umgehend aufs Revier zu kommen. Warum hat er das noch nicht getan? Erst ruft er mich an und dann verschwindet er, fragt sich Conte. Roberto Ginelli und das Opfer kannten sich gut. Freunde waren sie keine. Im Gegenteil. Jeder wusste, dass Mariella Novelli nicht nur die Ehefrau des Kinobesitzers, sondern auch die grosse Liebe von Roberto Ginelli war.

Roberto hatte Giuliano nie verzeihen, dass er ihm damals, als er in Bologna die Bäckerlehre absolvierte, Mariella ausgespannt hatte. Immer wieder gab es deswegen Streit. Roberto hatte nie geheiratet und 30 Jahre darauf gehofft, dass Mariella irgendwann doch zu ihm zurück kommen wird.

Da klopft es an der Tür. “Herein” ruft Conte. Es ist Roberto Ginelli. Er habe nicht mehr warten können gestern Nacht, da er in die Backstube musste, um den Teig für die Pizza Rosso für morgen vorzubereiten. Heute früh sei dann auch zu viel los gewesen, entschuldigt er sich. Der Inspektor verkneift sich eine seiner legendären Schimpftiraden und kommt zur Sache. Er macht keinen Hehl daraus, dass er von Robertos Abneigung, ja vielleicht sogar Hass gegenüber Giuliano, weiss. Roberto läuft rot an, fängt sich aber wieder und beteuert, dass er nie und nimmer in der Lage sei, jemandem etwas anzutun. Er sei gestern Abend nur kurz vor die Tür seiner Backstube gegangen, um wie immer wenn die Glocke der Chiesa die San Pantelo Mitternacht schlägt, eine Zigarette zu rauchen. Dann der Knall aus dem Kino. Da wusste er, dass etwas Schlimmes geschehen war. Gesehen habe er nichts deutliches, nur einen Schatten, der um die Ecke Richtung Via dei Giubbonari entschwand. Allein sei er  in der Backstube gewesen und auch sonst habe er niemand getroffen.

Das reichte dem Inspektor fürs Erste. Er hatte jetzt dringenderes vor. Im Caffe Peru an der Piazza Santa Caterina della Rota traf sich das Quartier oder genauer gesagt, diejenigen, die immer alles von jedem wussten. Ein Besuch dort war meist ergiebiger, als wochenlanges Recherchieren. Der Tisch draussen vor dem Eingang war immer reserviert. Dort sassen jeweils Emanuele Bruno, der das Teatro dei Satiri führte, Mauro Piselli, dem das wunderschöne Hotel Lunetta gehörte und Stefano Totti, der Tausendsassa unter den Gastronomen der Stadt mit seiner Osteria Romana. In der Regel komplettierte Giuliano Novelli die Runde. Doch der würde dieses Mal nicht mehr dabei sein können.

12 in 12 – Marcello Geppetti und das Dolce Vita

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Ein Monat in Rom könnte nicht besser beginnen, als mit einer Ausstellung von Marcello Geppetti, einem der der grössten italienischen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Keiner brachte  das Lebensgefühl des Dolce Vita so gut rüber wie der Maestro. Nicht wenige behaupten, er war der erste gute Paparazzi (und damit vielleicht auch der letzte). Ob die Fotos einer furiosen Anita Ekberg,  Sofia Loren im Zwiegespräch mit Vittorio de Sica oder den ersten Kuss zwischen Richard Burton und Elisabeth Taylor: der beste Schnappschuss gelang immer Geppetti. In der Dolce Vita Gallery an der Via Palermo 41 kann man die Fotos in Übergrösse bewundern und ganz tief in die Zeit des grossen italienischen Films eintauchen.

Sophia Loren und Vittoria de Sica
Sofia Loren und Vittorio de Sica

Was war das für eine Zeit. Mit La Dolce Vita von Frederico Fellini begann 1960 der Abschnitt der Grenzüberschreitungen auf der Suche nach neuen Sujets, Formen und Genres. Man begründete den erweiterten Realismus, einen undogmatischen Erzählstil, sowie einen Surrealismus, der Traum und Fantastik wie selbstverständlich in die Darstellung mit einschloss.

Audrey Hepburn in Rom beim einkaufen
Audrey Hepburn in Rom beim einkaufen

Zudem entwickelte sich eine bittere gesellschaftliche Satire. Dazu kamen neue Genres wie der Politthriller und der Italo-Western: ein Jahrzehnt der Aufbrüche in neue Dimensionen. Von Federico Fellini bis Michelangelo Antonioni, von Luchino Visconti bis Pier Paolo Pasolini, von Pietro Germi bis Francesco Rosi, von Sergio Leone bis Bernardo Bertolucci – all das waren grosse Meister ihres Fachs und machten Italien für rund eine Dekade zum Mittelpunkt der Filmwelt – und Geppetti war immer mitten drin.
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Eines der coolsten Bilder von Geppetti ist jenes, in dem ein Priester, der gerade beim turteln mit einer Frau erwischt wurde, dem Paparazzi hinterherläuft und versucht, die Kamera aus der Hand zu reissen, um die Negative sicher zu stellen. Geppetti ist zur Stelle und hält die Situation für die Ewigkeit fest.

12 in 12 – Cinema Farnese – Kapitel 1

Cinema Farnese
Ein Fall für Alfredo Conte

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Kapitel 1

Es war bereits nach Mitternacht, als das Telefon klingelte. Wie fast jeden Abend sass Inspektor Alfredo Conte noch in seinem kleinen Büro an der Piazza della Trinita dei Pellegrini mitten im Centro Storico von Rom. Seit über 20 Jahren war Conte für das Quartier rund um den Campo de’ Fiori zuständig. Er war mit allen Wassern gewaschen. Ein kauziger aber liebenswerter Typ. Sein hellbeiges Hemd, die dichten, gewellten schwarzen Haare und der buschige Schnurrbart waren sein Markenzeichen.

Der Inspektor nahm den Hörer ab. Es war Roberto Ginelli, der Geschäftsführer des Forno Campo de’ Fiori, der wohl besten Bäckerei der ganzen Stadt. Ihn kannte Conte gut, da er sich bei ihm jeden Mittag sein grosses Stück Pizza Rosso abholte. Roberto war ausser sich. Er müsse sofort kommen, sagte er. Schüsse habe er gehört und zwar im Cinema Farnese. Nein, reinzugehen habe er sich nicht getraut, obschon die Eingangstür sperrangelweit offen stehe.

Conte legte den Hörer auf. Mit seinem karierten Jacket unter dem Arm machte er sich auf den Weg. Das Cinema Farnese war gerade mal 100 Meter von seiner Polizeiwache entfernt. Er kannte den alten Giuliano Novelli, der das in den dreissiger Jahren gegründete Kino führte, gut. Noch gestern hatte er ihn gesehen, als er seine Pizza bei Roberto abgeholt hatte und über den Campo zur Polizeiwache zurückging. Die Tür stand tatsächlich weit auf. Roberto war nicht zu sehen. Conte verlor keine Zeit und trat gleich ein. Seine kleine Beretta hatte er wie immer in der Innentasche seines gestreiften Jackets, das er mittlerweile übergestreift hatte.

Er wusste, dass Giuliano in der Regel der Letzte war, der das Kino nach der Abendvorstellung verliess. „Roberto“ rief Conte. Keine Antwort.. Es war still. Totenstill und dunkel. Der Lichtschalter im Foyer schien nicht zu funktionieren. Das von aussen unscheinbare Kino hat einen Saal mit 300 Plätzen – auch dort stand die Tür offen. Conte trat in den Saal. Er hatte mittlerweile seine kleine Taschenlampe angeknipst. In der ersten Reihe schien sich was zu bewegen. „Halt“ schrie er, rannte den Gang entlang Richtung Leinwand und richtete den Lichtstrahl auf die roten Plüschsitze. Es war Giuliano. Regungslos sass er in der ersten Reihe und starrte Richtung Leinwand. Das Blut lief von seiner Schläfe herunter und tropfte auf den Boden. Kein Puls. Giuliano war tot.

12 in 12 – Das Städterating für Moskau

Das ist der letzte Eintrag aus Moskau. Der Moment, die Stadt zu bewerten, ist gekommen.

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Ein Monat ist nicht viel Zeit, doch genug, um einen Eindruck zu gewinnen, wie eine Stadt tickt. Deshalb haben wir ein Städterating erarbeitet, das sich von den gängigen Modellen der Mercers dieser Welt unterscheidet. Wir achten weniger auf das Bildungssystem, das politische Umfeld und das Gesundheitssystem, sondern mehr auf Faktoren, die eine Stadt einzigartig machen. Das Rating in neun Kategorien geht von 1 (schlecht) bis 10 (grandios) und spiegelt unser rein subjektives Empfinden:

Die Leute: 6

Die Moskauer sind sehr nett, gehen allerdings selten auf einen zu.

Kulturelles Angebot: 7

Wenn die Sprachbarriere nicht wäre, dann wäre das Rating noch höher – aber eben, subjektiv ist die Bewertung. Die unzähligen Theater an jeder Ecke blieben uns leider mehrheitlich verschlossen. Doch sonst gibt es ein fast grenzenloses Angebot, das erfrischend anders ist, als irgendwo sonst auf der Welt.  Gleichzeitig ist Moskau aber auch international und relevant.  Besonders die klassische Musik gehört hier zur DNA der Stadt.

Food: 7

Die kreative Gastroszene in Moskau war die grosse positive Überraschung. Wir werden die unendlichen Möglichkeiten vermissen.

Preisniveau: 9

Moskau eilt der Ruf einer teuren Stadt voraus. Keine Ahnung warum. Nicht nur wegen der Rubelkrise ist hier alle billig – teilweise gar spottbillig.

Öffentlicher Verkehr: 8

Die Metro in Moskau schlägt sie alle. Alle 2 Minuten ein Zug und das in jede Richtung. Zudem gibt es Uber, Taxis, Busse und alles andere, was man sich so wünscht. Der Verkehr auf der Strasse ist dicht, doch nicht so schlimm wie der Ruf, der ihm vorauseilt. Zudem beeindruckt Moskau mit Fahrradstationen an jeder Ecke.

Wetter/Klima: 4

Wir hatten Glück, da wir im Spätsommer hier waren. Das war toll. Doch der Winter kündigt sich bereits an und der wird hart – hammerhart.

Sicherheit: 9

Die sicherste Stadt, in der wir je waren.

Fun / Feel-Good-Factor: 8

Wir haben uns hier pudelwohl gefühlt und sehr viel Spass gehabt.

Coolness/Kreativität: 7

Sehr viel modische und progressive Leute. Hat uns sehr positiv überrascht.

GESAMTRATING: 65 VON 90 PUNKTEN

Das reicht im Moment für den Spitzenplatz

Next stop: Bella Roma

12 in 12 – Das ist Inna

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Das ist Inna. Sie ist Anfang 30, lebt in Moskau und produziert Theaterstücke – nicht für irgendeine Bühne, sondern für das avantgardistische und vom Kreml immer wieder kritisierte Gogol Theater. Inna hat lange, gewellte blonde Haare und immer ein charmantes Lächeln auf den Lippen. Sie strahlt Ruhe und Bescheidenheit aus. Dass sie beim Theater gelandet ist, war nie ihr Plan, erzählt sie uns im Foyer des Gogol Center in perfektem Englisch. Ihre erste Liebe galt dem Film. Innas Eltern hatten im Kino gearbeitet. In diese Welt wollte sie nach Ihrem Journalismus-Studium an der Moscow State University eintauchen. Es kam anders.

Sie erinnert sich noch gut „Es war Winter. Ich war zu spät fürs Theater und musste deshalb in der letzten Reihe Platz nehmen. Da es ein rundes Globe-Theater war, sass ich auf Augenhöhe mit den Bühnenarbeitern, die künstlichen Schnee nach unten rieseln liessen. Das war so schön und ich dachte: Das will ich auch.“ Eine Woche später rief eine Freundin an und bot Inna einen Job im Theater an. „Es war genau dieses Theater. Ich traute meinen Ohren nicht“, erzählt Inna strahlend. „Ich war zwar nicht für den Schnee verantwortlich, sondern für die Pressearbeit.“

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Innas Verhältnis zu Moskau ist eine Hassliebe. Sie ist hier geboren, wohnte mit ihren Eltern in einer schönen stalinistischen Siedlung mitten im Zentrum und kennt in Moskau jede noch so entlegene Ecke. Zwar stellt sie klar, dass das hier ihre Stadt und ihr zu Hause ist. Doch sie nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie erzählt, was ihr gar nicht passt:  „Das einzige, was in Moskau zählt, ist Geld. Immer nur Geld. Die Leute haben kein ‚Art de Vivre‘ und nehmen sich für nichts Zeit. Moskau braucht so viel Energie und saugt einen aus“. Eine angenehmen Stadt zum Leben sei das hier nicht.

Inna  wünscht sich, das sich die Leute mehr Zeit nehmen würden, nur einfach mal sich selbst sein, spazieren gehen und das Leben geniessen. „Wenn ich ehrlich bin, dann bin auch ich etwas so wie die anderen. Denn das ist der einzige Weg, um zu überleben. Das gilt auch fürs Theater“ sagt sie. Inna gehört zu einer neuen Generation von Moskauern, für die vieles möglich ist, die sich nichts gefallen lassen, die sich nicht um Politik und alte Apparatschiks  scheren, die weit gereist sind, mehrere Sprachen sprechen und ihre Freiheit in vollen Zügen geniessen.

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Inna erinnert sich an die neunziger Jahre in Moskau. Eine wilde Zeit. Alles wurde aufgesogen und ausprobiert. Das war Freiheit. „Wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Land für 80 Jahre keine richtige Kunstszene besass, dann kann man sich vorstellen, was da plötzlich zum Ausdruck kam.” Wenn sie Moskau heute anschaut, dann wird sie nachdenklich. Sie findet es schade, dass die Leute alle so konform geworden sind und nach den gleichen langweiligen Idealen streben. „Das Leben muss sich verändern, man muss sich weiter entwickeln. Das passiert hier im Moment nicht richtig“ sagt sie.

Als Theaterproduzentin ist Veränderung für Inna Pflicht.  Einer ihrer grossen Erfolge war die Aufführung des Stücks „Maschine Müller“ nach Briefen des Deutschen Autors Heiner Müller – mit 80 Nackten auf der Bühne. Da hatte das Theater erst gar nicht erst versucht, staatliche Unterstützung zu kriegen. Alles wurde mit privaten Sponsoren finanziert. Abend für Abend stellte das Theater vier Sicherheitskräfte an, um darauf vorbereitet zu sein, aufgebrachte Zuschauer zurückzuhalten.

„Im Moment bin ich glücklich hier“ sagt Inna. Sie mag ihre Arbeit und ihr Theater. Dennoch kann sie sich nicht vorstellen, noch viele Jahre hier zu arbeiten. Auch Moskau möchte sie irgendwann hinter sich lassen. Genaue Pläne hat sie keine. Improvisieren ist ihr Lebensmotto. Damit ist sie bisher gut gefahren.

 

 

12 in 12 – Moskau: Doch noch ein kleiner Reiseführer

Ja OK, ich will ja mal nicht so sein. Unsere Zeit in Moskau neigt sich langsam dem Ende entgegen. Dass wir die Stadt lieben, habt ihr ja wohl schon gemerkt.  Wir können nur jedem empfehlen, nach Moskau zu reisen und die grösste Stadt Europas selber zu entdecken. Hier einige unserer Lieblingsrestaurants, die wir vermissen werden und die nicht in jedem Reiseführer stehen:

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Die Brüder Karavaevi sind ein Gastrokonzept, das Starbucks alt aussehen lässt. Gibt es in jedem Quartier und hat alles, was das Herz begehrt. Von russischen Spezialitäten bis zum französischen Gebäck. Da könnte ich den ganzen Tag sitzen. Ich sage nur: Kirschstrudel.

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Warum nicht den ganzen Tag Frühstücken? Das hat sich auch der Besitzer von Cook’kareku gedacht. In diesem coolen Restaurant gibt es Frühstück aus aller Herren Länder. Russland, USA, Thailand, Israel, Armenien, Schweiz! und und und…

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Khachapuri, diese georgische Pizzavariation, ist einfach “to die for”.  Die Auswahl in Moskau ist riesig, doch wir mochten Xachapuria am liebsten. Der mit Spinat, Käse und Ei in der Bootform ist der Hammer.

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Wer die Nase voll hat von osteuropäischen Spezialitäten, der kann zu Cutfish Bistro,  einem Sushi-Restaurant im Trendquartier Patriarchs Pond, in dem das schöne Moskau verkehrt. Die Preise sind dennoch mehr als fair. Der Albacore Tuna Poke sucht seinesgleichen.

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Zu guter letzt noch was für Fast-Food-Liebhaber: Teremok. Die russischen Crepes sind so lecker. Der mit Lachs, Käse und Sour Cream ist ganz klar der Beste. Alles frisch gemacht. Gibt es in ganz Russland  – in Moskau alle paar hundert Meter.

 

12 in 12 – Paradies im Anti-Café

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Die Klingel unter dem Zifferblatt drücken und kurz warten. Jemand meldet sich durch die Gegensprechanlage. Ich sage: “Zifferblatt” und schon geht die Tür auf. Zwei Stockwerke nach oben. Da ist es wieder dieses Schild mit dem Zifferblatt. Wir stossen die Tür auf. Ist das der falsche Eingang? Hier wohnt doch jemand.
„Kommt rein“ ruft eine junge Frau. Das machen wir. Die junge Frau heisst Olya und fragt uns, ob wir was zu trinken wollen.

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img_9545Wir sind hier richtig. Goldrichtig. Das ist es also. Das Original Anti-Café. Das „Ziferblat“ an Moskaus Nobelmeile Tverskaya. Gemütlich ist’s hier.  Das Konzept ist einfach. Du zahlst nach der Zeit, die Du hier verbringst. Kaffee, Tee, Kuchen,  kleine Häppchen und alles was du sonst konsumierst ist umsonst. Die erste Stunde kostet drei Euro, danach zwei und ab Stunde vier ist es ganz umsonst. Hier sollst Du verweilen und dich wohl fühlen.

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Hier kannst Du Dich unterhalten oder ein Buch lesen und wenn es sein muss auch im Netz surfen oder Deinen Laptop aufklappen. Hier verkehren Künstler und Studenten aber auch ganz normale Moskauer, die einfach einen Gang zurückschalten wollen. Hier setzt sich mal einfach einer ans Klavier oder fragt Dich, ob Du Lust auf eine Partie Schach hast. Doch eines ist es hier ganz besonders: Eine Oase der Ruhe in einer Stadt, die den Kapitalismus für sich entdeckt hat. Das offizielle Motto: Im Ziferblat darfst Du alles, solange Du Rücksicht auf Deine Mitbesucher nimmst.

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Mittlerweile gibt es diese Anti-Cafés in Moskau an jeder Ecke. Auch in London und Berlin hat das Konzept Fuss gefasst. Doch keines ist wie das Ziferblat, das der Lebenskünstler Ivan Mitin 2011 gegründet hat. Während andere genau ausrechnen, was die Stunde kosten muss, damit sich die Sache lohnt, ist Mitin noch immer kein Geschäftsmann. Ohne Gönner könnte das Anti-Cafe  nicht überleben. Zum Glück gibt es viele Gleichgesinnte, denen es wichtig ist, dass es nicht nur Starbucks & Co. gibt, sondern auch Freiräume für alle, die kein dickes Portemonnaie haben. Die Welt braucht mehr Zifferblätter…

12 in 12 – So wird die Polizei ausgetrickst

Der Trick mit der CD
Der Trick mit der CD

Was, die CD hat ausgedient? Spotify, Youtube und Co. haben das Zepter übernommen und wenn schon, dann ganz zurück zu Vinyl? Aber bestimmt nicht in Moskau. Da sind CDs total angesagt.

OK, eins nach dem anderen. In Moskau fahren schickere Schlitten rum als in Chelsea. Lamborghini hier, Ferrari da. Heulende Motoren und Geschwindigkeitsrausch mitten in der Stadt. Die siebenspurigen Boulevards laden so richtig zum Rennerfahren ein. Spätestens wenn die Sonne untergeht, dann rasen einem die Boliden hier so richtig um die Ohren.

Doch wer nicht der Sohn eines Oligarchen ist und damit sozusagen eine „get out of jail free card“ im Handschuhfach hat, muss aufpassen, dass er nicht von einer der über 1’000 Kameras erfasst wird.

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Um die Kameras zu überlisten, gibt es einen einfachen Trick: Mit einer CD das hintere Nummernschild teilweise abdecken. Die Kamera versucht dann vergebens, die Identität des Fahrers festzustellen.

Doch ist das nicht illegal? Ja, schon. Das Abdecken der Nummernschilder ist verboten und wenn das ein Polizist bei einem entdeckt, dann gibt es auch einen Strafzettel. Doch der fällige Betrag für das Anbringen einer CD ist Vergleich zur Strafe fürs schnell fahren  so lächerlich tief, dass es sich lohnt, den Trick mit der CD immer und immer wieder anzuwenden.

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P.S. Eine Kostprobe der russischen Autofahrkunst und anderen Schabernacks gefällig? Dann schaut Euch mal (auf eigene Verantwortung) das Twitter Account von Only in Russia an. Stundenlanger Spass garantiert.