Tag Archives: Buenos Aires

12 in 12 – Wo seid ihr alle?

Es ist halb acht Uhr Abends an einem Mittwoch und wir haben Hunger. Auf zu unserem Lieblingsrestaurant, dem Klassiker El Trapiche in unserem Stadtteil Palermo Hollywood. Die Tür ist zu, das Licht ist aus. Öffnungszeit: von 20 Uhr bis 1:45 Uhr Morgens. OK, wir kommen in einer Dreiviertelstunde wieder.

20:15. Das Licht ist an. Im El Trapiche mit seinen wohl fast 100 Tischen ist es ruhig. Nur zwei Tische sind besetzt, einer mit einem älteren Ehepaar, das sich ein fettes Stück Fleisch teilt, am andern sitzt eine Familie mit zwei kleinen Kindern, die gerade eine riesige Portion Patatas Espanola serviert kriegt.

Wir schauen die Karte an und lassen uns etwas Zeit. Als die Vorspeise um 20:45 kommt, sind es immer noch die zwei Tische und wir, die sich den enormen Speisesaal miteinander teilen. Die Bedienung scherzt herum. Sie hat Zeit und Ruhe. Die Ruhe vor dem Sturm oder kommt niemand mehr? Die Wirtschaftslage und so…wer weiss?

“Wie spät ist es eigentlich”? frage ich meine Frau, als ich mir ein Stück Lasagne mit einem Berg Sauce schöpfe. “Keine Ahnung. Wohl so halb zehn” meint sie. Es ist  bereits kurz vor 22 Uhr. Mittlerweile haben sich drei oder vier weitere Tische gefüllt. Das Restaurant ist aber noch immer recht leer. Da geht die Tür auf. Eine Familie mit drei kleinen Kindern kommt Punkt zehn hereinspaziert. Zwei Minuten später stolzieren vier Frauen, die wohl zusammen arbeiten, in den Saal, dann eine Gruppe Männer in typisch argentinischen Moccasins, die hier bestimmt Stammgast sind. Im Minutentakt kommen neue Gäste.

Es ist 22:30. Das Restaurant ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Es ist ein Tohuwabohu, die Stimmung ist grandios und die Luft vibriert. Die Kellner zischen an uns vorbei mit Lasagne, Steaks, Weinflaschen, Bier, Flan, Chorizo, Camarones und allem anderen, was das Herz begehrt. Überall glückliche Gesichter.

Es ist 23 Uhr. Wir bezahlen, nachdem wir noch einen Coupe mit Brombeeren und Himbeeren verschlungen haben.  Den Rest der monstergrossen Lasagne haben wir einpacken lassen. Das Restaurant brummt.

So ist es in Argentinien. Die Leute kommen nicht spät, sondern mega spät zum Essen. Egal ob mit Kind und Kegel – vor 22 Uhr geht hier gar nichts. Ich habe keine Ahnung wie die das machen und dann am nächsten Tag putzmunter zur Arbeit gehen. Doch darüber denkt hier niemand nach. “Seize the day” heisst das Motto. Wer weiss was morgen ist, heute lassen wir es uns gut gehen.  Sehr erfrischend, diese Lebenseinstellung.

 

12 in 12 – Hoch lebe die Hochkultur für alle

“Hola, was kosten zwei Karten für das Galakonzert zum Tag des Tangos mit den beiden Tangolegenden Raúl Lavié y María Graña?” frage ich am Schalter im Centro Cultural Kirchner. Die Dame schaut mich etwas verwirrt an und antwortet: “Die sind umsonst” und drückt mir die Karten in die Hand.

Umsonst? Das kann doch nicht sein. Ist ihr da ein Fehler unterlaufen? Und die Vorführung vom Orchester unter der Leitung von Nicolas Ledesma? Auch umsonst.

Pahh. In der Tat. Im Centro Cultural Kirchner ist immer alles umsonst. Ob die neue Ausstellung von Brian Eno, das Gastspiel von Ute Lemper oder der grosse Auftritt des argentinischen Nationalorchsters. Umsonst. Bis zu zehn Veranstaltungen, von Lesungen über Konzerte und Workshops, im Centro Cultural Kirchner, das letztes Jahr in der alten Post eröffnet wurde, zahlt man nie was.

Das ist kaum zu fassen. In einem Land, wo der Staatshaushalt so gut wie immer in Schieflage ist, kann man Kultur gratis und franko satt haben und zwar nicht nur im Centro Cultural Kirchner, sonder so gut wie überall. Die neue argentinische Superband Ovvol spielt im Centro Cultural Recoleta ohne Eintritt zu verlangen, das internationale Tanzfestival, das in der ganzen Stadt eine volle Woche lang stattfindet – all free. Filmvorführungen in alten Kinos, Theater, Tanzstunden, Jazz, moderne Kunst, Comedy…was immer das Herz begehrt. Wie gesagt, umsonst.

Allein ins atemberaubende Kirchner-Zentrum kommen jeden Tag rund 10’000 Zuschauer, was die Institution sozusagen über Nacht zur viertgrössten Kulturstätte der Welt gemacht hat. Kultur wird in Argentinien als Grundrecht angesehen und die Ausgaben für die Institutionen als Investition und nicht als Kosten. Das sehe ich auch so. Wer sieht, wie glücklich die Leute sind, die hier herkommen und wie sie es schätzen, wie sie gespannt zuhören und miteinander über das Gebotene diskutieren, der merkt, dass Kunst und Kultur nicht nur was für ein paar abgehobene Intellektuelle ist, sondern was fürs Volk – man muss ihnen nur den Zugang dazu geben.

Warum ich Euch das alles erzähle? Ich frage mich, warum sowas wie hier in Buenos Aires nicht auch in unseren Breitengraden möglich ist. Warum kann es nicht Räume geben, in denen sich die Masse ganz  ohne Zwang auf Kultur und Kunst einlassen kann? Ja klar gibt es Kunstförderung, Tage an denen Museen umsonst oder verbilligt sind, Jugendrabatt, Theaterclubs, mal eine Opernübertragung auf dem grossen Platz  und sonst auch alles Mögliche. Doch das ist nicht dasselbe.

Kultur als Grundrecht ohne tief in die Tasche greifen zu müssen. Das trägt dazu bei, in unseren manchmal doch allzu kühlen und unpersönlichen Gesellschaft etwas Zusammenhalt und Wärme zu schaffen. Ich ziehe den Hut vor Argentinien, Buenos Aires und ganz besonders vor dem Centro Cultural Kirchner My new favorite place und ein Vorbild für uns alle.

12 in 12 – Was richtige Pizza ist

Der Italiener neben mir in der Pizzeria Güerrin an der AV. Corrientes in Buenos Aires murmelt sich was in den Bart wie “Non e una vera pizza” oder so.  Aha, das ist also keine richtige Pizza. Richtige Pizza? Was ist da überhaupt und wer bestimmt sowas?

Ist die Pizza aus Neapel die richtige Pizza mit ihrer weichen Teigkruste und der überfrischen Mozzarella oder die Römer Pizza mit ihrer dünnen knusprigen Kante? Was ist mit der Chicago Deep Dish Pizza mit ihrem hohen Rand und den Unmengen von Belag oder der New York Style Pizza, die gross und weich ist und deren “Slices” man in der Mitte faltet? Und vor allem: Was ist mit der argentinischen Pizza, die einen knusprigen Teigboden hat, massenweise Mozzarella, ganze grüne Oliven und leckere Tomatensauce? In der Pizzeria Güerrin läuft der Ofen seit 1932 ununterbrochen und die Pizza schmeckt sowas von lecker. Das Rezept stammt hier übrigens von italienischen Immigranten, die 1927 aus Genua nach Argentinien ausgewandert sind und  hier ihr Glück gesucht und gefunden hatten.

Ich will mir hier auch nicht Anmassen, ein Urteil zu fällen, welche Pizza die Beste und schon gar nicht die Richtige ist. Doch was ich nicht ausstehen kann ist, dass man die Pizza, so wie man sie zu Hause macht, automatisch als die Richtige und Beste anpreist, so wie mein Tischnachbar hier in der Pizzeria Güerrin. Solche Engstirnigkeit kann schon mal heftig auf die Nerven gehen. Das ist so ähnlich, wie wenn der Italiener mir lang und breit erklärt, wie ein Kaffee schmecken muss und ich, egal was ich sage und egal wie gut meine Argumente sind, sowieso keine Ahnung habe, nur weil ich nicht aus Italien bin. Das gleiche gilt für den Amerikaner und den Hamburger oder den Franzosen, der mir erklärt, wie ein Baguette schmecken muss. Grrrrrr….

OK, tief durchatmen und auf zehn zählen.  Die Pizzeria Güerrin ist in Argentinien sowas wie ein Nationalheiligtum. Hier geht man hin, wenn man Pizza essen will und Pizza essen, das will der Argentinier fast so oft wie Steak essen. Dass 75% der Argentinier italienisches Blut haben,  merkt man noch heute.

Der Italiener neben mir, der sich darüber beschwert hatte, dass das hier keine echte Pizza ist, bezahlt übrigens gerade. Die Riesenpizza, die gerade noch vor ihm stand und die normalerweise für zwei ist, hat er restlos verputzt. Naja, das mag nicht die richtige Pizza gewesen sein, doch geschmeckt hat sie ihm offensichtlich doch ziemlich gut – und genau darauf kommt es ja im Endeffekt ja einzig und alleine an.

12 in 12 – Mafalda – Klein, frech und liebenswert

 

Sie ist gerade mal fünf Jahre alt, ist klein, frech und eigensinnig,  hat immer eine Schleife im Haar und sie ist wohl die beliebteste Argentinierin, noch viel beliebter als die stolze Evita. Sie heisst Mafalda und ist eine Comicfigur. Erfunden hat sie der argentinische Comiczeichner Quino, der von 1964 bis 1973 elf Bände zeichnete, die bis heute an jedem Kiosk und in jeder Buchhandlung zu haben sind. Meine Frau findet, sie hat Ähnlichkeit mit Mafalda – das lass ich jetzt einfach mal so im Raum stehen.

Mafalda tritt für den Weltfrieden, Gerechtigkeit, Demokratie und die Frauenbewegung ein und ist weltanschaulich immer ein Stück schlauer als ihre Eltern. Mafalda liebt die Beatles und hasst Suppe. Mafalda hat mit ihren Ansichten zum Vietnam-Krieg, Atomenergie, Menschenrechten und Gerechtigkeit eine ganze Generation beeinflusst und tut dies heute immer noch.

In Argentinien sind nach Mafalda Plätze und Strassen benannt und an Hauswänden ist sie über die ganze Stadt hinweg verstreut verewigt. Lang lebe Mafalda!!!!!

12 in 12 – Mein Freund der Baum…

“Mein Freund der Baum ist tot, er fiel im frühen Morgenrot” hatte die deutsche Sängerin Alexandra vor bald 50 Jahren gesungen. Da war ich zwar noch nicht auf der Welt, doch der Song begleitete dennoch meine Jugend. So mysteriös und so traurig – mein Freund der Baum ist tot… Ich hatte damals keine Ahnung, was Alexandra damit sagen wollte. Doch wenn man genau zuhört, ist die Erklärung eigentlich einfach.  Alexandra sang den Song für ihren geliebten Baum, dem sie schon als Kind alle Sorgen anvertraut hatte und der jetzt im Morgenrot gefällt wurde. Ihr Freund der Baum war tot.

Ein Baum als Freund? Das hatte ich nie recht kapiert. Doch jetzt verstehe ich es. Wenn ich hier in Buenos Aires die wunderschön blühenden Jacaranda-Bäume anschaue, wie sie so ganz lila vor sich hin blühen, dann fang ich an zu träumen. Der Wind rauscht durch die Blätter und das Lila nebelt einen ein, so dass man nichts mehr anderes sieht und nur noch an die schöne Welt denkt.

Der Jacaranda-Baum gehört zur Familie der Trompetenbaumgewächse und ist in ganz Südamerika verbreitet. Seinen Ursprung findet er aber in Buenos Aires. Die ersten Bäume wurden hier 1875 zur Eröffnung des 3 de Febrero Park geflanzt. Jetzt sind sie gross und schön und strahlen enorme Ruhe aus. Jacaranda-Bäume haben doppelt gefiederte Blätter und glockenförmige, überwiegend purpur- bis malvenfarbige Blüten,

Mein Freund der Baum kann ich jetzt auch sagen – nicht tot, sondern quicklebendig. Ich liebe die Jacaranda-Bäume.

Wer sich an den Song von Alexandra nicht mehr erinnern kann…bitte unbedingt anhören:

12 in 12 – Polo ist mehr als Pferdefussball…

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Polo ist in Argentinien eine nationale Obsession. Seit die Briten den Sport Mitte des 19. Jahrhunderts hierher gebracht haben, ist Argentinien so angefressen von Polo, dass es weltweit keine Nation gibt, die da nur annähernd mithalten kann. 90% der beim Polo eingesetzten Pferde kommen denn auch aus argentinischen Züchtungen.

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Wie es der Zufall so will, findet gerade das Campeonato Argentino Abierto de Polo statt, das grösste und wichtigste Poloturnier der Welt. Seit 1893 wird es ausgetragen und seit 1923 findet es im Campo Argentino, der Kathedrale des Polosports im Stadtteil Palermo, statt.

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Hier geben sich die Reichen und Schönen der Stadt am River Plate die Hand. Es ist ein grosses Ereignis. Das Spiel, das ca. 600 vor Christus im Iran erfunden wurde, zieht einen schnell in seinen Bann. Wenn die Pferde an der Tribüne vorbei galoppieren und die Schläger durch die Luft zischen, dann bebt die Erde. Insgesamt acht Spieler stehen sich auf einem riesigen Spielfeld gegenüber, das sechs mal so gross ist, wie ein Fussballplatz.

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Jeder Spieler hat mindestens vier Pferde, die nach jedem Spielabschnitt von sieben Minuten Dauer ausgewechselt werden müssen. Ziel ist es, den Ball in das drei Meter hohe und sieben Meter breite Tor zu schlagen.  Das ist gar nicht so einfach, obwohl das Tor nicht durch einen Torwart beschützt wird. Es ist unglaublich, was die Pferde leisten.  Sie schwitzen, sie prusten, werden zwischen den Spielabschnitten massiert, getätschelt, gewaschen, gefüttert und mit einem grossen Ventilator gekühlt. Man sagt, dass 90% der Leistung im Polo vom Pferd kommt. Da spielt das Handicap der Spieler (10 ist das Beste) weniger eine Rolle.

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Die Pferdezucht ist in Argentinine ein grosses Geschäft. Jährlich werden hier 5000 Polopferde geboren. Erst nach dem fünften Lebensjahr können die besten – fast immer Stuten – in Spielen eingesetzt werden. Ein durchschnittliches Polopferd kostet rund 15’000 $. Spitzenpferde können gerne mal 200’000 $ kosten. Kein Sport für das Volk also…

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Ich bin überrascht, wieviel Spass es macht, dem Treiben auf dem Platz zuzusehen. Ich habe keine Ahnung vom Reiten und noch weniger von Polo. Doch Polo zu spielen muss schon viel Spass machen. Aber ich glaube, dafür ist mein Portemonnaie etwas zu dünn….

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12 in 12 – Wie es ist, ohne H&M und Gap zu leben

Schliesst die Augen und stellt Euch vor, mitten in einer Grossstadt reiht sich ein Laden an den anderen und keiner davon heisst H&M, Gap, Zara, Topshop, Primark, Foot Locker, Tiger, oder Uniqlo.

Schwer vorzustellen, hab ich Recht?  Doch genau so ist es hier in Buenos Aires. Wer hier als Europäer durch die Strassen schlendert, der sieht nur vereinzelt Geschäfte, die ihm bekannt vorkommen. Hier gibt es hunderte von super netten Boutiquen und anderen Geschäften, die ihren Ursprung alle in Argentinien haben.

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Das sollte doch eigentlich spannend sein, denn die Globalisierung hat viele der grossen Städte sowas von langweilig gemacht. Die Einkaufsstrasse in London sieht fast so aus, wie die in Paris und auch in New York, Hongkong und Schanghai sind die grossen Konsummeilen oft identisch und fast so wie zu Hause. Besonders krasse Ausmasse nimmt das jeweils in den grossen Shopping Centern an, die man kaum mehr auseinanderhalten kann.

Im Prinzip schön, dass es hier in Buenos Aires noch Individualität gibt, sei es auch nur, weil sich die grossen Ladenketten wegen der unsicheren Wirtschaftslage und der weiten Wege nicht nach Argentinien trauen.

Eigentlich sollte das schön und spannend sein, habe ich gesagt. Eigentlich – und jetzt kommt der Knaller: Ist es irgendwie aber nicht, zumindest nicht auf den ersten Blick und unmittelbar. Und da sind wir wieder beim Thema Heimat und Heimatgefühle. Ganz erschreckt musste ich feststellen, dass mir Läden, die mir bekannt vorkommen und die ich gerne mag, ein gutes Gefühl und auch eine gewisse Sicherheit geben, egal ob zu Hause oder in Buenos Aires . Ich weiss, was mich erwartet, was die Preise sind, was ich dort kaufen kann und wie ich mich dort bewege. Ich weiss nicht, ob ihr das nachvollziehen könnt, doch so ist das nunmal. Irgendwie traurig. Ich bin auf die Masche der Grosskonzerne voll reingefallen. Aber da kann man nichts dran ändern.

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Ich habe immer über die Leute gelacht, die in einer fremden Stadt gleich den nächsten McDonald’s ansteuern und auch die Japaner schräg angeschaut, die in Rom unbedingt jeden Abend Sushi essen wollten und werde dies auch weiterhin tun. Denn zum Reisen und zum Leben generell gehört Abenteuer und Offenheit, sonst entwickelt man sich keinen Schritt weiter. Doch ein kleinwenig nachvollziehen kann ich diese Einstellung mittlerweile schon.

Wie mit allem ist die Reaktion auf die unbekannten Läden und das Fehlen des Vertrauten nur der unmittelbare Eindruck. Was einem auf den ersten Blick fremd vorkommt, wird einem mit der Zeit vertrauter und man lernt es zu schätzen. Die Kreativität der Läden in Buenos Aires ist erfrischend. Doch gebt mir etwas Zeit. Ich muss mich erst noch aklimatisieren.

12 in 12 – Bueons Aires: Wir demonstrieren nonstop

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Kaum in Buenos Aires angekommen, mach ich mich auf den Weg zur Plaza Mayor. Dort schlägt das Herz der Stadt und dort ist Präsident Mauricio Macri in der Casa Rosada zu Hause. Buenos Aires ist keine ungefährliche Stadt und angesichts der andauernden Wirtschaftskrise ist das seit meinem letzten Besuch vor zehn Jahren bestimmt nicht besser geworden. Ich bin gespannt auf die Stadt, in die ich mich damals Hals über Kopf verliebt hatte.

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Die U-Bahnstation Catedral liegt direkt unter dem Hauptplatz. Die Treppe rauf und rein ins Getümmel auf der Plaza Mayor. Getümmel in der Tat. Auf dem Platz wehen die Fahnen. Es wird demonstriert. Alles scheint friedlich zu sein. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass hier mehrere Züge miteinander oder aneinander vorbei demonstrieren.  Die einen wollen die Anerkennung von Kriegsveteranen, die anderen unterstützen die La Campora, eine kirchnergtreue Partei, die häufig für Unruhe sorgt, wider andere setzen sich für faire Löhne ein. Alles verläuft friedlich.

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Demonstrieren und politischer Aktivismus ist in Buenos Aires  das wohl beliebteste Hobby – noch vor dem Fussball. Im Oktober wurde in der Stadt so viel demonstriert wie noch nie – insgesamt 158 Demonstrationen. Das macht im Schnitt fünf Kundgebungen pro Tag. Oft geht der Zug von der Plaza Mayor die Avenida Mayor hinunter. Deshalb ist die Casa Rosada immer mit einer mobilen Schutzwand abgesperrt, an der Sprayer ihre Parolen verewigen. Doch auch der Rest der Stadt wird oft von den Kundgebungen lahm gelegt. Für viele Portenos, wie die Bewohner von Buenos Aires genannt werden, ist das auch ein Ärgernis. Dennoch, auf die freie Meinungsäusserung wollen die Argentinier ganz bestimmt nicht verzichten. Mit gutem Grund.

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Mit Demonstrationen wurden in Argentinien schon Präsidenten gestürzt und das mehr als einmal. Zuletzt geschah dies 2011, als Präsident Fernando de la Rúa mit dem Hubschrauber vom Dach der Casa Rosada das Weite suchte. Der Macht des Volkes sind sich die Argentinier sehr bewusst. Die Diktatur der 70er Jahre, die tausenden von Argentiniern das Leben gekostet hat, soll kein Revival erleben.

Wenn die Argentinier etwas berührt, dann gehen sie auf die Strasse. Ende Oktober folgten mehrere hundert Tausend Demonstranten dem Aufruf des Twitter Hashtag #MiércolesNegro, um auf die Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen. Auslöser war die Verschleppung und Vergewaltigung der 16-jährigen Lucia Perez, in Mar del Plata. Die Regierung hat daraufhin Massnahmen ergriffen.

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Die Argentinier sind politisch sehr interessiert. Hier lässt man sich nur wenig gefallen. Eigentlich haben sie Recht. Wem was nicht passt, der soll es sagen, denn nur so kann verhindert werden, dass es unter der Oberfläche brodelt und später explodiert. Davon können wir ganz bestimmt  was lernen…

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12 in 12 – Das ist Yanira

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„Wann heiratest Du mich nun endlich“, fragt der Gemüsehändler auf dem Campo de’ Fiori. „Ciao bella“ hört man von links und von rechts, „Wo warst Du denn so lange, hast du mich schon vergessen“, einen Stand weiter. Wer mit Yanira unterwegs ist, der kann sich im Hintergrund halten und in Ruhe durch die Strassen schlendern. Die 29-jährige zieht mit ihrer offenen Art und ihrer Ausstrahlung die ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich.

Yanira ist aus Buenos Aires und lebt erst seit einem Jahr in Rom. Das römische Lebensgefühl hat sie schon voll und ganz aufgesaugt. “Ja klar, die Männer machen auch hier mal die eine oder andere Bemerkung”, sagt sie. “Doch im Vergleich zu Argentinien, wo Männer einfach keinen Respekt haben und du eine Bulldogge sein musst, damit du sie abwehren und aushalten kannst, ist es hier sehr angenehm.”

In Argentinien fühlte sich Yanira nie sicher, wenn sie die Strasse entlang ging. Unzählige Male wurde sie ausgeraubt. “Egal, wie vorsichtig ich war, jedes Smartphone wurde mir abgenommen.” In Rom hingegen fühlt sich Yanira frei – in jeder Hinsicht. Sie wohnt mit ihrem Freund in einem Studio etwas ausserhalb des Zentrums. “Die meisten anderen mieten sich nur ein Zimmer in einer Wohnung. Doch das wollten wir nicht”, sagt sie.

Yanira hat zwei Universitätsabschlüsse. Sie arbeitet als Übersetzerin für die renommierte Sapienza Universität und als Reiseführerin für Withlocals. Ihr Englisch ist fehler- und akzentfrei. Italienisch spricht sie wie eine Einheimische. Ihre Passion gehört aber dem Tanz. Vor kurzem hat sie ein Stipendium für die Tanzschule La Pirouette ergattert. Jetzt will sie es nochmals wissen. “Jeder denkt, nur weil du aus Argentinien bist, könntest du tanzen, vor allem den Tango . Doch das wird dir nicht einfach in die Wiege gelegt”, sagt sie bestimmt.  Yanira ist sehr glücklich in Rom, hat einen Freund aus Sizilien, will hier eine Familie gründen und ihre Kinder aufziehen. Doch zuvor will sie noch reisen, viel reisen.

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Dass sich Yanira in Italien so wohl fühlt, hat einen guten Grund. Ihre Familie kommt ursprünglich aus Italien, genauer gesagt aus Udine. Ihr Grossvater war, wie so viele andere Italiener, nach Argentinien ausgewandert. Deshalb hat Yanira auch einen italienischen Pass. Vor einem Jahr hatte sie ihre Familie in Udine und danach auch Rom besucht. Sie wusste sofort: das ist mein zu Hause.

Zwei Drittel der Argentinier und damit über 25 Millionen, haben italienische Wurzeln. Nirgends anders gibt es so viele Italienstämmige. Seit dem 19.Jahrhundert wandern Italiener immer dann aus, wenn es dem Land schlecht geht – am liebsten nach Argentinien.

Heute geht der Strom auch in die andere Richtung. Wer italienische Vorfahren hat, kann die Staatsbürgerschaft beantragen. Das machen immer mehr. Zwar geht es Italien nicht unbedingt rosig und wer sich hier umhört, weiss, dass es für die Jugend kaum keine Jobs gibt. Doch besser als in Argentinien, wo die Wirtschaft seit bald 20 Jahren darbt, ist es wohl schon, auch wenn die Löhne in Italien unter Druck sind. Yanira erzählt von einer Freundin aus Argentinien, die drei Universitätsabschlüsse hat und auch nach Italien wollte. Sie hatte ein Jobangebot von einer Sprachschule – für 1300 Euro im Monat. Das war einfach zu wenig. Jetzt lebt sie in Amsterdam.

Was sie nicht mag an Rom? Die Busse. Das sei eine Zumutung mit dem öffentlichen Transport hier und in die hoffnungslos überfüllte U-Bahn musste man sie am Anfang reinschieben. Ach ja und die Bürokratie sei ein Albtraum. “Sie wurde hier erfunden glaube ich”, scherzt sie. Doch nach einer Weile merkt man wie der Hase läuft und dass es nur drauf ankommt, die richtigen Leute zu kennen. Plötzlich gehe alles wie von alleine. Eine richtige Römerin.

 

 

Architektur in Buenos Aires – Mathias Klotz und Edgar Minond

Argentinien ist viel mehr als nur Steppe und Gauchos…doch das brauch ich Euch ja wohl nicht zu sagen. Buenos Aires ist eine der coolsten Städte auf diesem Planeten und dass dort auch geile Architektur hingestellt wird, zeigt das sogenannte L-Haus, das dieses Jahr in Buenos Aires von den Architekten Mathias Klotz und Edgar Minond fertiggestellt wurde. Continue reading Architektur in Buenos Aires – Mathias Klotz und Edgar Minond