12 in 12 – Warum in Berlin gejubelt wird

Es ist Freitag Abend  kurz vor zehn. Ich fahre auf meinem silbernen 80er Jahre Rennrad der Marke “Motobecane” vom Schlesischen Tor Richtung Lausitzer Platz, als ein ohrenbetäubendes Geschrei losbricht. Was ist da bloss los? Streitet sich da jemand, gibt es eine Prügelei, wird demonstriert oder ist es ein freudiges Ereignis? Ein Polterabend, eine grosse Party, gibt es was umsonst?

Ich halte an und schaue mich um. Woher kommen die Stimmen? Es ist definitiv kein Streit, sondern ein ausgelassenes Rufen, Schreien und Grölen, wie ich es nur vom Fussball  kenne. Doch im Moment ist Sommerpause. Da kann eskaum ein Fussballspiel sein; oder jubeln die Berliner der deutschen Frauennationalmannschaft an der EM oder der Hertha im Freundschaftsspiel gegen Liverpool zu?

Ich sehe eine Menschentraube vor einer Bar. Ich schliesse mein Fahrrad ab und gehe auf das Oberbaumeck an der Bevernstrasse zu. Die Bar ist gerammelt voll. Auf zwei Grossbildschrimen läuft tatsächlich Fussball. weitere dreissig bis vierzig Typen, die drinnen keinen Platz mehr haben, stehen mit einer Flasche Bier draussen und starren durch das Fenster des Oberbaumecks gebannt auf die Mattscheibe. WM-Feeling pur. Jetzt will ich aberendlich  wissen, was hier gespielt wird, bzw. wer hier spielt.

VfL Bochum – St. Pauli 0:1 – steht oben links auf dem Screen. Was? 2. Bundesliga? St. Pauli in Berlin? Ich traue meinen Augen nicht. Doch es ist tatsächlich so. In Kreuzberg gibt es für die Meisten nur einen Verein und der ist nicht etwa die Hertha aus Berlin und auch nicht der 1.FC Union, sondern St. Pauli aus Hamburg. Der Verein, der durch seine Authentizität und richtigen handgemachten Fussball ohne Grossinvestoren glänzt, ist für viele Kreuzberger das einzige, was zählt. Hamburg als Stadt können sie zwar nicht riechen, aber St. Pauli, das ist Herzenssache.

“Der Buchmann hat ne unglaubliche Kiste reingeballert” sagt der Typ neben mir. “Das war so geil” meint sein Kumpel. Wenn St. Pauli spielt, dann ist in Kreuzberg Ausnahmezustand. Ich kann es kaum fassen. Es sind 75 Minuten gespielt und St. Pauli führt noch immer 1:0 und das Auswärts. Ich schwinge mich wieder auf mein Motobecane und radle Richtung Wohnung.

An unserer Hausecke komme ich an der “Weissen Taube”, eine Bar oder treffender eine Kneipe, die in Kreuzberg zum Inventar gehört, vorbei. In der Weissen Tauber läuft meistens  Heavy Metal, haben Hipster Hausverbot und sowohl Fipperkasten als auch Kicker haben Hochkonjunktur. Wenn Fussball läuft, dann gilt in der Weissen Taube: 10 Cent Getränkezuschlag und Kaffee kriegt man dann ganz bestimmt keinen – das geht zu lange sagt der Barkeeper. Auch in der Weissen Taube gibt es heute nur ein Thema. Das Spiel St. Pauli gegen Bochum. Es läuft die 84. Spielminute. Die Paulianer verteidigen mit Mann und Maus. Ein Raunen geht durch die Menge, als Hornschuh noch gerade so mit dem Kopf klären kann.

Schlusspfiff. Das Spiel ist aus, St. Pauli gewinnt und ist der erste Tabellenführer der gerade angepfiffenen Zweitligasaison. Berlin hat einen Grund zum Feiern. Der Barkeeper kann sich vor Bestellungen kaum retten. Ohne den Getränkezuschlag kostet das Bier jetzt nur noch 2.20 Euro. Hummel Hummel…Mors Mors.

 

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