12 in 12 – Die Montagsdemonstration

Das ist der Alexanderplatz oder auch Alex wie er im Volksmund genannt wird. Schön ist er ja nicht gerade, der Hauptplatz von Berlin Mitte. Fernsehturm, Plattenbauten, Shopping Zentren und  mehr Leute als am Times Square oder am Piccadilly Circus.

Ich schlendere über den Alex und höre schon von weitem ein Lied. “People Have the Power” singt da irgendjemand voller Inbrunst mit unverkennbarem Berliner Akzent. Wo kommt das bloss her? Ich schau mich um und entdecke unter der Weltzeituhr drei ältere Herren, die gerade ein Banner aufhängen. “Montagsdemonstration” steht da drauf. Sie haben eine kleine Lautsprecheranlage und ein Mikrophpon dabei. “People Have the Power” klingt es weiter. Eine Handvoll Passanten bleibt stehen und hört zu.

Dann schnappt sich Hans-Heinrich das Mikrophon und begrüsst die Zuhörer. “Willkommen zur Montagsdemonstration” sagt er. “Heute können alle ihre Meinung sagen.” Jeder darf das Mikrophon nehmen, ausser Faschisten und Alkoholisierte. Drei Minuten habt ihr Zeit. Wir stoppen das sehr genau” erklärt er die Spielregeln. Drei Themen gibt es heute. Die steigenden Mietpreise in Berlin, der bevorstehende G20-Gipfel und das Unwetter von letzter Woche. “Wir lassen uns nicht von irgendwelchen Typen in Anzügen in Hamburg vorschreiben, wie wir zu Leben haben” haucht er ins Mikrophon. “Gut gesagt” kommentiert ein Jugendlicher mit einer Flasche Berliner Kind in der Hand das Votum. Ich bin mir nicht sicher, ob der schon zu den Alkoholisierten zählt. Doch egal. Wollen wir hier mal ein Auge zudrücken,

Ich höre eine Weile zu und bin beeindruckt, wie geordnet hier alles vonstatten geht. Kein Streit, kein Ärger und keine Randale. Das ist viel friedfertiger hier als der Ruf der Berliner, den sie sich durch ihre legendären Strassenschlachten mit der Polizei “erarbeitet” haben. Das Ganze erinnert mich etwas an den Speakers Corner im Hyde Park von London – ohne den intellektuellen Anstrich, denn hier redet das Volk.

Seit 2003 stehen sie – meist ältere Menschen – jeden Montag unter der Weltzeituhr. Das Ganze ist eine Reminiszenz an die Montagsdemonstrationen in der DDR, die vor bald 30 Jahren eine Regierung ja ein ganzes System weggespült haben. Die erste dieser Demonstrationen fand am 4. September 1989 in Leipzig mit 1200 Demonstranten statt und verbreiteten sich schnell über das ganze Land. “Wir sind das Volk” hallte es durch die DDR und Hunderttausende waren dabei, was im Endeffekt zur Neuordnung der SED und zum Mauerfall führte.

Hans-Heinrich kommt seit über zehn Jahren zur Weltzeituhr am Alex. Fast jeden Montag ist er hier. 2004 war die Bewegung auf ihrem Höhepunkt und hatte den Namen Bewegung auch verdient. Heute sind es nur ein paar ältere Herren, die sozusagen gemütlich im Sessel demonstrieren. Doch egal, finde ich. Das nicht mehr Leute da sind, kann man ihnen ganz bestimmt nicht vorwerfen. Ich finde es schön, dass man auf dem Alex stehen, und seine Meinung zu Gott und der Welt kundtun kann. Auch das ist Demokratie, oder?

People have the Power. Das ist nicht nur ein Song von Patti Smith, sondern im Endeffekt das, was unser demokratisches System am Leben hält. Ob arabischer Frühling oder die Wahl von Donald Trump. People have the Power – for good or for worse.

Hier noch der Gassenhauer People have the Power:

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