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12 in 12 -Die schräge Welt des Lucha Libre

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Ja, ich gebe es zu. Als der legendäre Horst Brack alias Rochus Hahn Ende der achtziger Jahre bei Catch Up auf RTL2 den moderierenden Fiesling mimte, sass ich nach Mitternacht wie gebannt vor dem Fernseher und hab mir die Ringkämpfe von Ric Flair und Co. angeschaut. Das war Kult. Seither habe ich den Kontakt zum Wrestling verloren. Die Grossveranstaltungen der WWE interessieren mich genau so viel, wie wenn in Peking ein Fahrrad umfällt.

Doch sobald Mexico City als eine der Städte von 12 in 12 feststand war klar: Lucha Libre, die mexikanische Form des professionellen Wrestling, wo sich Männer in Masken gegenüberstehen und sich mit haarsträubenden Akrobatikeinlagen gegenseitig aufs Parkett legen, muss aufs Programm.

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Gesagt, getan. Das Mekka des Lucha Libre ist seit Mitte der fünfziger Jahre die berüchtigte Arena de Mexico. Jeden Freitag geht es hier wild zu und her, wenn die Profiliga Consejo Mundial de Lucha Libre (CMLL) ihre Kämpfe austrägt. Mein Reiseführer rät davon ab, hier allein ohne Touristengruppe hinzugehen. Es kursieren üble Räubergeschichten, was rund um das Stadion schon alles passiert sein soll.

Doch egal. Karten gekauft, rein in die U-Bahn und hin zur Arena. Wird schon gut gehen. Von weitem sieht man die Menschenmassen. Viele haben die Masken ihrer Lieblingskämpfer übergestülpt. Das flösst durchaus Respekt ein. Augen zu und durch. Der „Türsteher“ vor der Arena nimmt mir gleich mal die Kamera ab, gibt sie nach hinten, drückt mir einen orangen Zettel in die Hand und deutet auf ein dunkles Fenster am Ende des Gangs. OK, da muss ich sie wohl abholen, wenn die Kamera dann noch da ist.

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In der Halle ist es ohrenbetäubend laut. Die einzelnen Fangruppen liefern sich mit Sprechgesängen Duelle. „Mistico, Mistico”, schallt es aus der einen Ecke, während die andere Atlantis lautstark unterstützt. Mistico, ganz in Weiss mit goldenen Glitzeraufsätzen, ist der Liebling des Publikums.

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Irgendwie ist es lächerlich, wenn insgesamt gleich sechs Ringkämpfer mit ihren Masken den Ring betreten und jeder eine grössere Show abzieht, als der andere. Doch gleichzeitig strahlt das ganze auch Faszination aus. Mein Sitznachbar auf jeden Fall ist total aus dem Häuschen. Mistico und sein Tag-Team sind drauf und dran, Atlantis und seine Truppe zu vermöbeln. Die Akrobatik ist atemberaubend. Dass sich die Jungs dabei nicht alle Knochen brechen…

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Mistico hat, wie jeder Lucha-Libre-Charakter, eine Hintergrundsgeschichte.  Er wurde als Waisenkind vom Ringpriester Fray Tormensa aufgenommen und von ihm auch trainiert. Als Verteidiger der Armen und Waisen – wie könnte es auch anders sein – trägt er eine lange Fehde mit Mephisto aus.

Mistico ist auch ausserhalb des Rings ein grosser Star. Er ist der Held einer populären Comic-Serie, taucht in Musik-Videos und TV-Shows auf und ist der Liebling unzähliger Kinder in ganz Mexiko. Sie lieben ihren Mistico.

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Am Ende der dritten Runde ist es so weit. Mistico stellt sich auf die Seile in der Ringecke.  Er hat Atlantis, der fordernd mitten im Ring steht, vor sich. Das Publikum weiss, was jetzt bevorsteht.  Mistico hebt ab, wirbelt durch die Luft und streckt Atlantis nieder. Mistico hat gewonnen. Die Welt ist wieder in Ordnung und die Halle ausser Rand und Band.

Schon eine schräge Angelegenheit dieses Lucha Libre. Nach drei Stunden der Spuk vorbei. Ich suche das Fenster am Ende des Ganges. Ich reiche meinen orangen Zettel durchs Gitter.  Alles paletti. Die Kamera ist noch da. Später in der U-Bahn flimmern die Bilder der Kämpfe weiter vor meinen Augen. Hab ich das nur geträumt oder war ich gerade wirklich beim Lucha Libre?

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