12 in 12 – Das ist Jorge

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Jorge ist IT-Spezialist oder sowas ähnliches. Jorge hat ein klitzekleines Geschäft im Stadtteil Roma Norte in Mexico City. Der Laden ist sein ganzer Stolz. Vor zwei Jahren, kurz vor seinem 50. Geburtstag, hat er sein Erspartes zusammengekratzt und den Shop eröffnet. Es laufe gut, sagt er und lächelt.

Bei Jorge ist man immer richtig, wen es um elektronische Geräte geht. Wenn das iPhone kaputt ist, schaut man bei Jorge vorbei. Er wird’s schon richten. Keinen Adapter für die Steckdose? Ja genau, Jorge hat ihn. Und wer in der Nachbarschaft einfach nur einen Schwatz halten will, für den hat Jorge auch immer ein offenes Ohr.

Ich war dringend auf Jorges Hilfe angewiesen, denn ich brauchte Kopien von einer Musik-CD und zwar gleich 20 Stück. Das CD-Rom-Laufwerk meines MacBooks hatte den Geist aufgegeben und mir blieb nichts anderes übrig, als alles auf einen USB-Stick runterzuziehen und bei Jorge vorbeizuschauen.

Ob er das machen kann, frage ich ihn. „Claro que si“ meint er. Bis Nachmittags um fünf sei alles fertig. Super. Den USB-Stick brauche er nicht, denn er habe bereits alles auf seinen Harddrive kopiert. Alles klar. Easy peasy…

Nachmittags um fünf. Jorge verkauft gerade ein Keyboard an eine überglückliche Kundin. Gut, dass ich vorbei komme, meint er. Er brauche den USB Stick doch nochmal, denn er habe die Daten nicht richtig runtergeladen. Ob denn morgen auch noch reiche für die Kopien. Aber sicher. Gar kein Problem. Ich gehe zurück in die Wohnung und hole den USB-Stick. Jorge kann endlich loslegen.

Am nächsten Morgen um 10 sei alles fertig. Mit den Öffnungszeiten nimmt es Jorge nicht so genau. Um 11 ist noch niemand da. Ich komme um 12 wieder. Alles zu. Na ja, dann geh ich eben erst Mittag essen. Danach habe ich Glück. Jorge steht vor seinem uralten Desktop Computer und grinst. Er hätte noch was erledigen müssen, entschuldigt er sich. Ach ja, die CD’s. „Es ging nicht, da ich das Modem nicht an den PC anschliessen konnte“ meint er. Wie bitte? Warum braucht er das Internet für eine einfache Kopie? Naja, ich habe ja auch nicht viel Ahnung und Jorge ist schliesslich der Spezialist. Er könne da alles heute Abend zu Hause machen, meint er. Dort habe er einen besseren Computer. Ob er sicher sei, dass morgen alles bereit ist, frage ich. „Claro que si“ kommt es wie aus der Pistole geschossen. Morgen um 10 sei alles fertig.

Ich warte bis Mittags. Der Rolladen ist noch immer nicht hochgezogen. Ich schaue die Strasse entlang und sehe Jorge. Er kauft sich gerade einen Kaffee. Puh, Glück gehabt. Er habe ein Problem, meint er. Die CD’s sind kopiert, aber der Songname kam nicht mit. Das soll auch am Internet liegen. Ich zeige ihm, dass auf der Harddisk und dem Stick alles drauf ist. Nein, es gehe nur mit Internet. OK. Ob ich denn noch einen Tag warten könne. Naja, jetzt kommt es auch nicht mehr drauf an und bezahlt habe ich Jorge ja auch noch nicht. „Claro que si“ sage ich und zottle wieder von dannen.

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Ich komme mir vor wie bei Groundhog Day. Der Wecker klingelt, Frühstück wird gemacht und der tägliche Besuch bei Jorge steht an. Was wird es dieses Mal sein? Als er mich kommen sieht, kramt er im Regal rum, dann in seinem Aktenkoffer. Wo sind die CD’s? Er ruft seine Frau an. Ja, er hat sie zu Hause vergessen. In zwei Stunden sind sie da, verspricht er. Ach ja, einer der Songs hätte nicht drauf gepasst. Mhh. Das hatte ich ihn am Anfang schon gefragt. Er hatte da noch gesagt, dass bestimmt alle Songs drauf passen. Doch egal. Hauptsache die CD’s sind fertig.

Zwei Stunden später. Jorge hat die CD’s. Er spielt mir die Erste stolz in seinem Auto vor. Gleich merke ich, dass die Reihenfolge völlig durcheinander geraten ist. Wir legen die CD in seinem Laptop ein und siehe da, auch die Songnamen fehlen noch immer. Das könne er gleich wieder gut machen. Er habe das Modem und alle sei bereit. Ob er dazu nicht alle CD’s von neuem brennen müsse, will ich wissen. Jaja schon, doch das macht gar nichts. Um 4 Uhr Nachmittags sei alles gemacht.

5 Uhr Nachmittags. Jorge ist noch am Brennen. Noch zwei, dann sei er fertig. Ich lege eine der fertigen CD’s, die er in eine Schokoladenschachtel gelegt hat, in das Laufwerk seines zweiten Laptops. Ich traue meinen Augen nicht. Der erste Song ist gleich zweimal drauf, der fünfte ebenfalls und insgesamt sind es 22 Songs statt 20. Dazu hat er nur 16 statt 20 CD’s kopiert. Das ist nicht nur auf der Test-CD so, sondern auf allen 16.

Jorge ist das mega peinlich. Er ist mit seinem Latein am Ende. Er hat sich Mühe gegeben, doch ich glaube, besser wird’s nicht. „Vielleicht mögen die Leute ja die Songs so gern, dass sie sie zweimal hören wollen“, sagt er scherzhaft und versucht zu retten, was zu retten ist. Irgendwie tut er mir Leid, denn er hat sich viel Zeit genommen und Mühe gegeben und jetzt war alles umsonst. Er gibt mir die 16 CD’s, Geld will er dafür keins haben.

Jorge mag zwar nicht der nächste Zuckerberg oder Gates sein. Doch ein guter Kerl ist er allemal. Ich gebe ihm die Hand und er entschuldigt sich tausend Mal.
Es wird mir fehlen, nicht mehr jeden Tag bei Jorge vorbeizuschauen. Ich hatte mich schon so daran gewöhnt.

Nachtrag:

In Argentinien hab ich die CD’s dann getestet, was gar nicht so einfach war. Ich hatte ja kein CD-Rom-Laufwerk mehr, in der Wohnung gab es keinen CD-Spieler und ein Geschäft mit CD-Spielern ist hier eher eine Seltenheit. Nach einigen Tagen fand ich dann endlich doch ein Geschäft. Erste CD – Disc Error – Zweite CD: Ebenfalls Disc Error. Das kann doch nicht sein. Jorge, was hast Du denn bloss gemacht?. Dritte CD ebenfalls Disk error. SO ging das weiter bis zur letzten. Von den 16 CD’s war gerade mal eine CD brauchbar. Sowas aber auch. Da hab ich nun drei Wochen “on and off” damit verbracht, die CD’s zu brennen und dann gar kein happy end. C’est la vie sagt man da wohl. Jetzt muss es ein Attachment bzw. ein Download tun…

 

 

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