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12 in 12 – Muay Thai – Die Fabel von Kamon und Pana

Kamon kann nichts aus der Ruhe bringen. Er hat ein Lächeln auf den Lippen und wie immer sein schwarzes Poloshirt an. Kamon zieht im Channel 7 Stadion in Bangkok die Fäden, wenn es um Wetten beim Thai Boxen, oder wie es bei den einheimischen heisst, Muay Thai, geht. Er hat Jahre gebraucht, bis er sich seine Position erkämpft hat. Doch jetzt kann ihm niemand mehr was vormachen.

Plötzlich hält Kamon fünf Finger nach oben, was heisst, dass er in der nächsten Runde auf den Favoriten setzt und eine Quote von 5:1 bietet. Er schaut ins Publikum und findet Pana. Der nickt ihm zu und geht die Wette ein. Pana ist der alte weise Mann unter den Gamblern. Eine Institution im Channel 7 Stadion.

Der Favorit in der roten Hose dominiert die nächste Runde. Kamon hat das richtige Gespür gehabt. Für Pana hingegen ist es ein bitterer Abend. Da hilft auch sein graues Glückshemd nichts. Zum wiederholten Male hat er gegen Kamon verloren. Pana ist noch ein Wettteufel der alten Generation. Ohne technische Hilfe verlässt er sich einzig und allein auf seine Erfahrung und sein geschultes Auge. Seit über 40 Jahren kommt er zum Muay Thai.

Kamon weiss, dass er dank Technik einen Vorteil hat und das nützt er eiskalt aus. Die Kämpfe werden live am TV übertragen. Er hat drei Handys auf einem Pappkarton befestigt und einen Kopfhörer im Ohr. So holt er sich Zusatzinformationen von seinen Helfern, die zu Hause vor dem TV zuschauen. Wenn er mit ihnen spricht, dann hält er sich immer den Karton vor den Mund. Man weiss ja nie, ob hier einer Lippen lesen kann.

Pana kann seine Pechsträhne nicht akzeptieren. Gegen Kamon zu verlieren, schmerzt besonders. Schliesslich war Pana zuvor mal die Eminenz der Wettgemeinde des Channel-7-Stadions. Doch die Zeiten haben sich geändert.

Der letzte Kampf steht an. Pana will sich das verlorene Geld wieder zurückholen. In der ersten von fünf Runden wird kaum gewettet. Traditionell ist die zum Abtasten da. So richtig los geht es erst in Runde 3 und 4, dann aber so richtig. Das Stadion kocht, das eigene Wort kann man dann schon lange nicht mehr verstehen und im Ring wird es richtig blutig.

Im  Muay Thai wird nicht nur mit der Hand geboxt, sondern sind Ellenbogen, Knietechniken und das Clinchen erlaubt. Die im Muay Thai bekannteste Technik ist der Kick mit dem blanken Schienbein, meist auf den Oberschenkel oder Rippenbereich gezielt. Je nach Reglement und Profistufe des Kämpfers können Knietritte zum Kopf zulässig sein. Insgesamt gibt es 50 Punkte zu holen. Oft passiert es, dass ein Kämpfer in der fünften Runde durch das hinhalten der beiden Handschuhe signalisiert, dass er weiss, dass er den Kampf verloren hat. Um das Gesicht zu wahren, akzeptiert der Gegner dieses Zeichen und verzichtet darauf, die letzte Runde noch mit voller Wucht durchzuboxen und seinen Gegner noch stärker zu verletzten. Thai Boxen gilt als eine der gefährlichsten Kampfsportarten.

Zurück zu Pana und Kamon. Die vierte Runde steht an. Der Kämpfer in der roten Hose hat das Geschehen bisher klar dominiert. Pana glaubt an ihn und bietet Kamon mit einem schnellen Handzeichen eine Quote von 4:1 an. Um wieviel es in diesem Moment geht, ist mir nicht ganz klar. Angesichts der Blicke meiner Sitznachbarn muss es um sehr sehr viel Geld gehen. Kamon zögert keine Sekunde. Er geht die Wette ein. Er rechnet damit, dass der Underdog in den ersten Runden nur geblufft hat.

Der Gong. Runde 4 beginnt. Plötzlich schlägt der der Underdog in der blauen Hose zu. Zwei- dreimal mit dem Ellenbogen und dann…. ein Kniestoss zum Kopf. Dabei springt er auf und dann knallt’s. Ein Raunen geht durch die Menge. Der Favorit hält sich zwar auf den Beinen, doch er wird angezählt. Der Rest der Runde geht im gleichen Takt weiter. Kamon hat sein berühmtes Lächeln auf den Lippen.  Pana hingegen versteht die Welt nicht mehr. War das heute nur Glück oder ist er der Sache einfach nicht mehr gewachsen?

Für Kamon hingegen lief heute wieder mal alles nach Plan. Er zählt nach dem Kampf ungeniert die Geldscheine. Hier würde sich niemand trauen, gegen den Wettkönig etwas zu unternehmen und ihm die Scheine abzunehmen. Neben ihm stehen  zwei etwas breitschultrigere Kollegen. Die dürften das im Fall der Fälle ohnehin verhindern.

Nach dem Kampf sehe ich Pana draussen. Er holt sich an einem Stand einen Nudelsuppe udn setzt sich auf einen roten Plastikstuhl. Gedankenversunken stochert er in seiner Schüssel herum. Traurig oder wütend sieht er dabei nicht aus. Bestimmt denkt er gerade an die buddhistische Weisheit: “Groll mit sich herumtragen ist wie das Greifen nach einem glühenden Stück Kohle –in der Absicht, es nach jemandem zu werfen. Man verbrennt sich dabei nur selbst.” Bestimmt.